Kein Mensch sollte Leid erfahren von Dr. Hans-Jörg Clement
Paula Doepfner entwickelt Bilder und Kontexte, die nicht mehr und nicht weniger einer im übertragenen Sinn zu verstehenden Zumutung gleichkommen; etwa dann, wenn die Künstlerin das Istanbul-Protokoll, eine verstörende Dokumentation weltweiter Folter, oder Hirnoperationen und
Obduktionen, denen sie in der Charité beiwohnte, in kleinsten Textgirlanden (nach-)zeichnet. Auszuhalten ist dieser Hintergrund nur, weil er zum Verständnis nicht gewusst werden muss und die Künstlerin diesen Themen eine ästhetische Verzauberung entgegensetzt, die befreit aufatmen lässt, aber auch von sehnsuchtsvoller Melancholie ist. „Kein Mensch sollte Leid erfahren“, sagt Paula Doepfner in einem Gespräch mit der Konrad-Adenauer-Stiftung, fern jeglicher Gefühligkeit, um sich am Geheimnis des Lebens zwischen dem Leidvollen und den Glücksmomenten abzuarbeiten.
So zeugen auch die im Mittelpunkt der Installation in der Konrad-Adenauer-Stiftung stehenden Glasscheiben von Zerstörung und Gewalt, denen die Künstlerin duftige Schönheit filigraner Blüten entgegensetzt; eine extrem ästhetische Partitur einer vielfältig gestimmten Welt – im Zeichen des Krieges. Stets aber bleibt der Arbeit jenseits des Kontextes, an dem sich Interpretationen förmlich – zu Form geworden – aufdrängen, das Allgemeingültige.
Doepfner greift auch darum immer wieder auf Glas zurück: Das Panzerglas dokumentiert die bei Demonstrationen entstandenen Einschlaglöcher, springt und fasert aus, zersplittert aber nie ganz. Auch das Lavagestein, von etruskischen Vulkanen und aus dem Vulkangebiet der Eifel stammend, erinnert in der Unterschiedlichkeit der Oberflächen an Gehirnscans, an unverwechselbare Fingerabdrücke, vor allem aber auch an ein archaisches Ganzes, dessen Kostbarkeit durch die
Farbgebung Giottos, kulminierend in einem einzigen, in Distanz zu den anderen Steinen liegenden goldenen Exemplar, betont wird.
Was die Arbeit auszeichnet, sind Substanz, ein ästhetisches Bekenntnis und eine alles tragende Ambivalenz aus Gewalt und Verletzung wie Schönheit und Verflüchtigung. Dass sich diese nicht abnutzt und immer wieder neue Fragen aufwirft, prädestiniert die im inhaltlich wie formalen Sinn prismenreiche Arbeit zur Präsentation im Foyer und im Hof der Konrad-Adenauer.Stiftung in der Klingelhöferstraße; eine fortwährende, Außen- und Innenraum verschränkende Inspiration für die Belegschaft wie für die Besucherinnen und Besucher, im Bewusstsein, dass politische Bildung ohne kulturelle Bildung nicht gedacht werden kann. So sehr sich Paula Doepfner von didaktischer Betulichkeit, plakativer politischer Parole und vordergründiger Provokation absetzt, erfährt das Werk von Anfang an subtile politische Aufladung und spiegelt dabei eine Kunst, die ihren gesellschaftspolitischen Impetus immer mitschwingen lässt und nicht aufgibt, was sie in erster Linie ist: nämlich absolut frei.
Die Künstlerin, die in Berlin und London studierte und bei Rebecca Horn zur Meisterschülerin wurde, kos- tet diese Freiheit aus und verweist in ihrem Werk auf ein vielfältiges formales Vokabular, auf Zeichnung, Skulptur/ Objekt und Performance. Die inhaltlichen Fragestellungen, denen sich die Künstlerin unter Zuhilfenahme dieser Ausdrucksweisen zuwendet, sie in komplex konstruierte Strukturen mit leichter Hand überführt, sind der Neurowissenschaft, der Literatur und der Politik entnommen. Das Werk wird zusammengehalten durch die Hinwendung zum Menschen und seinen existenziellen Bedingungen zwischen Leben und Tod und eines poetischen Timbres, das sich in zarter Andeutung begnügt und schon bei leisester Schwingung der Verflüchtigung preisgegeben ist.
Das, was wir sehen, ist absolut neu und knüpft doch in raffinierter Verschlüsselung an kunsthistorische und literarische Markierungen an – voller Lust und Respekt, aber mit so viel Selbstbewusstsein, dass wir immer Zeugen eines zutiefst innovativen kreativen Aktes werden, der (uns) überrascht.
Insbesondere das virtuose Zusammenführen von relevantem Inhalt und formalen Strategien fasziniert und bindet den Blick; berauscht von Farben und Strukturen lässt man sich auf diese Arbeiten ein und betritt den Kosmos einer Künstlerin, die das Spektakel und den vordergründigen Effekt nicht nötig hat.
In ihrer Bewerbung um ein Stipendium der Künstlerförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Trustee Programm EHF 2010 verwies Paula Doepfner nicht zufällig auf Paul Celans Engführung:
„Nahtstellen, fühlbar, hier
klafft es weit auseinander, hier wuchs es
wieder zusammen – wer
deckte es zu?“
Paula Doepfners dauerhafte Installation in der Konrad-Adenauer-Stiftung entfaltet eine Welt, die sich der Demokratie verbunden wie verpflichtet weiß: im Bewusstsein ihrer Verletzbarkeit, in schöpferischer Fantasie.
Dr. Hans-Jörg Clement
November 2022
Text für Paula Doepfners Installationen in der Konrad-Adenauer-Stiftung.